Wien ist (wirklich) anders

Wien ist (wirklich) anders

Quelle: Roland Düringer (2017): Meine Stimme G!LT. Und Deine?
Quelle: Roland Düringer (2017): Meine Stimme G!LT. Und Deine?

Kannte ich Wien bislang als Tagesrand-Reisender (vulgo: Berufspendler) aus NÖ, so erschließt sich mir die große Stadt seit Februar diesen Jahres als extrem gegensätzliches, buntes, unberechenbares Pflaster.
Wirkt die Innenstadt wie eine zum größten Teil leblose Prachtbautenkulisse, deren Innereien - mit Ausnahme der Konzertsäle, Bibliotheken und mancher Museen - wohl ihre Lebendigkeit bereits vor 100 Jahren eingebüßt haben.
So grenzen Einkaufsstraßen, wie die "MaHü", die Mariahilfer Straße - neuerdings um urbane "Begegnungszonen" "bereichert" -, mit ihren kulinar(r)ischen Hotspots und zugleich hoch-kulturellen Brennpunkten, den Stehcafés (Neu-Deutsch: coffee shops) oder Schnell-Runterschling-Selbst-Auftisch-Ketten (=fast food-"Restaurants") an die "City" an. Würstelstände, bei denen man eine Eitrige bestellen kann, wirken extrem anachronistisch, Kebap-Kioske verleihen auch in der Zeit der Migrationsbewegungen den nötigen Multi-Kulti-Flair. Damit's auch stets "belustigt" bleibt, sind die Hüttel-Rändern stets von fein-säuberlich mit Jägermeister-Fläschchen oder russischen Vodka-Glasbehältnissen umsäumt, die von ebensolchen Gestalten deponiert wurden. Lichtblick hier ist wohl, daß man in Wien den Schmäh nicht verlieren darf. Das Gras der Zeit wird schon drüber wachsen. Ja eh. Wer's glaubt...
Daneben, in friedlichster Koexistenz, die zahllosen "outlets" der kinderarbeitsfördernden Bekleidungsindustrie, die weiterhin einen "trendigen lifestyle" bewerbend, fröhlich und ungeniert in Fernost billigste Kleidungs"qualität" zu "Dumping"-Preisen herstellen läßt, und als "Marken"kleidung verkaufen. Plastikmist zum Anziehen also, für den auch noch Kinder unter unmenschlichen Bedingungen arbeiten müssen.
Damit nicht genug, reihen sich auch noch Bäckereiketten in stetig quantitativ steigendem Ausmaße ein. Deren Aufgabe besteht darin, ausgesiebtem Mehl - den "billigsten Rest" vom Korn - in Heißluftbacköfen zu attraktivem Aussehen zu verhelfen. Zum Teil mit Aluminiumfolien-Resten auf der Unterseite, oft quatschnaß parallel aus Tiefkühltruhe und Durchlauferhitzer kommend. Wer dies nicht glaubt, ist hiermit angehalten, sich doch bitte ein paar Tage in Folge ein Außer-Haus-Frühstück "einzuwerfen", dann wird man oder frau sehen, daß er bzw. sie hungrig bleibt und zusätzlich Geld losgeworden ist. Hoch sollen sie leben, die "Weckerln" mit ihren fetten Aufstrichen und den Salatblättern, die schon im Vormonat nicht mehr frisch waren.

Was mich immer wieder stutzig macht, ist die extrem reduzierte Aufmerksamkeitsspanne und Erfassungskapazität seitens des zu bemitleidenswerten Konditionen sich selbst verdingt habenden Personals: Bestellt man - gegen teures Geld - einen oft mies schmeckenden Kaffee, bekommt man - bei vorheriger Zucker- und Deckel-Abbestellung den Kaffee entweder: schwarz mit Zucker, ohne Deckel, oder auch - zumeist wunschgemäß zubereitet - gerade noch schmeckend, oft erkaltet, zwar mit Milch und ohne Zucker aber sehr - zu - oft mit, richtig, (Plastik-)Deckel.
Ich kam recht bald zu einer Lösung für dieses Problem. Diese besteht darin, ein eigenes Kaffeehäferl mitzunehmen, oder noch besser, Kaffee im (Edelstahl-)Espressokocher selbst zubereiten, und dann in Emil-Glasflasche mit Thermohülle mitzunehmen. Zumindest dann kann nix passieren. Und man hat alles besser unter Kontrolle, auch die eigenen Finanzen.

Hier in Gersthof, wie auch anderorts in Währing, etwa in Weinstadt oder Pötzleinsdorf, bleiben einem ruhesuchenden Neo-Städter vom Lande freilich solche negativen Erfahrungen dankenswerter Weise erspart. Die ehemaligen Vororte bieten zwar den (allen erdenklichen?) Komfort urbaner Infrastruktur, wie lokale Nahversorger (biologische Produkte aus Österreich, z.T. Demeter-Qualität) und - allem voran eine öffentliche Verkehrsinfrastruktur, die sich im wahrsten Sinne des Worts sehen läßt, auch am Wochenende. Neben den VOR-Zügen gibt's auch noch andere Vorzüge: es ist ein kleinstädtisches, ja (fast) ländliches Lebensumfeld, das Nacht- und Tagesruhe bietet, gute Luft ... bis auf gelegentliche, leider doch wiederkehrende (Diesel-)KFZ, die hoffentlich bald behördlich untersagt sind. Man darf ja noch hoffen, in Zeiten des Klimawandels. Die Naherholungsgebiete sind in diesem Fall wirklich nahe, erholsam und zahlreich. So etwas gibt es - aus welchen Gründen auch immer - nur, oder halt einfach besonders ausgeprägt, hier in der Welthauptstadt Wien.

Ja, eh. Aber dem "fröhlichen" Weiterraunzen und der "mittelstädtischen" Morbidität tut dies dennoch - mehr als offensichtlich - keinerlei Abbruch.